Berlin, 6. Februar 2000
Don Luigi ist tot. Luigi Fraccari aus
Verona, der viele Jahre, ja Jahrzehnte als
einfallsreicher Nothelfer seiner zahlreichen
Landsleute, als verständnisvoller Seelsorger
der Italienischen Gemeinde, als aufrechter
Priester für alle Ratsuchenden und als
caritativer Samariter im Bistum Berlin
wirkte, verstarb in den Morgenstunden des
24. Januar in einem Krankenhaus seiner
Heimat. Die Nieren bereiteten Probleme, der
Kreislauf war schwach, schließlich versagte
das Herz. Er ist an dem Tag friedlich
entschlafen, an dem er vor 91 Jahren in
Pazzon, in der Nähe der norditalienischen
Provinzhauptstadt Verona geboren wurde. Der
Kreis eines langen, eines reichen, eines
erfüllten Lebens hat sich geschlossen.
Dennoch werden viele über die Nachricht
seines Todes traurig sein.
Wer ihn kennenlernen durfte, auch in
seinen späteren Jahren, erlebte
einen Menschen, der faszinieren und
begeistern konnte. Eine
charismatische
Priesterpersönlichkeit, die sich für
die Botschaft Jesu von der Güte und
Menschenfreundlichkeit Gottes mit
voller Kraft einsetzte und geradezu
aufrieb. Einen solchen Menschen
vergisst man nicht. So entstanden
Verbindungen, die hielten, die ein
Leben lang Bestand hatten. Das
Netzwerk seiner vielen Freunde
funktionierte auch in den Stunden
nach seinem Tod. Die Nachricht
verbreitete sich schnell per
Telefon.
Überhaupt Don Luigi und das Telefon.
Er war auch intensiver
Telefonseelsorger. Er meldete sich,
hielt Kontakt und liess einmal
geknüpfte Verbindungen nie abreißen.
Wenn zu Ostern, Weihnachten oder im
Neuen Jahr spätabends das Telefon
klingelte, war es oft Don Luigi.
„Come stai?” - „Wie geht's? - „Oh,
va bene!” - Es ging ihm immer gut.
Auch im hohen Alter. Man glaubte es
ihm gerne, auch wenn er hier gewiss
manchmal geflunkert hat. Denn es war
nie seine Art, zu klagen oder über
seinen Gesundheitszustand zu
lamentieren. Das war 1982 so, als
sich Don Luigi in Lausanne einer
komplizierten Augenoperation
unterziehen musste. Den Spezialisten
gelang es damals, die Sehkraft eines
Auges gut wiederherzustellen. Das
war auch schon 1947 so, als Don
Luigi, kaum drei Jahre in Berlin,
von Professor Brentano quasi mit
Gewalt für mehrere Monate ins St.
Hildegard-Krankenhaus eingewiesen
wurde. Der gute Samariter, der
ungezählten Kranken Trost und Hilfe
zugesprochen hatte, war selbst
schwer erkrankt. Der Arzt stellte
"ausgeprägte Hungerödeme und
Herzmuskelschwäche infolge von
Überarbeitung und Unterernährung"
fest.
Aber Fraccari empfand fremde Not
immer stärker als, die eigene. Kaum
wieder auf den Beinen, ging er
erneut daran Seelsorge zu betreiben
und das Band der Italiener in Berlin
enger zu knüpfen. Vielleicht ist ihm
ja sogar in der Krankenhauszeit die
Idee zur Gründung der G.I.B., der
italienischen Jugend Berlin,
gekommen. Denn Stillstand, gar
Ruhestand - für Don Luigi
unvorstellbar. Auch nachdem er 1979,
nach 35-jähriger ununterbrochener
Tätigkeit in Berlin wieder in seine
Heimat Verona zurückgekehrt war. Der
70-Jährige half kräftig in der
Pfarrei mit, holte Gruppen in seinem
Wohnviertel zusammen und gründete
sogar einen Chor, die Schola
Cantorum von San Ambrogio. Bis kurz
vor seinem Tode, so war zu erfahren,
hat Don Luigi noch regelmäßig die
Eucharistie gefeiert.
Priester zu sein, das war Ihm Lohn
und Anerkennung genug. Obwohl es
natürlich auch an Würdigungen und
offiziellen Ehrungen nicht gefehlt
hat. Die italienische Zeitung „Oggi"
ernannte ihn in einem großen Artikel
kurzerhand zum „Heiligen von
Berlin”, weil er mit seinem
unermüdlichen Einsatz weit über die
Grenzen seiner zweiten Heimat
bekannt geworden war. Luigi Fraccari
wurde zum Monsignore, gar zum
Ehrenprälaten ernannt. Der
italienische Staatspräsident ehrte
ihn wenige Wochen nach seinem
Silbernen Priesterjubiläum mit dem
„Stern der Solidarität”, einer hohen
Auszeichnung für besonders verdiente
Mitbürger. Man hätte sich keinen
Orden vorstellen können, der den
Einsatz von Don Luigi treffender
charakterisiert hätte, denn in der
Mitte dieses Solidaritätsstern ist
ein Bild des guten Samariters
abgebildet, dem ähnlich zu werden
Don Luigi 1944 nach Deutschland
aufgebrochen war. Gemeinsam mit
Prof. Carlo Schmid wurde Fraccari
für seine Verdienste um die
deutsch-italienische Verständigung
mit dem de Gasperi-Preis
ausgezeichnet. 1965 erfolgte eine
weitere Auszeichnung Fraccaris durch
sein Heimatland. Der Präsident der
italienischen Republik ernannte ihn
zum Ehrenritter und verlieh ihm den
Titel „Cavalliere dell' ordine al
merito della Repubblica Italiana”.
Aber - Luigi Fraccari ein Prälat
oder gar ein Ritter? Unvorstellbar.
Für alle, die ihn kannten, blieb er
schlicht „Don Luigi”, bescheiden wie
ein einfacher Landpfarrer in der
entlegenen Provinz. Diesen Titel
liebte er und trug ihn als
Ehrenzeichen.
„Eigentlich unmöglich” haben
bestimmt viele gedacht. Aber Don
Luigi liebte das Unmögliche, weil er
dann nämlich einen Weg finden
konnte, es doch zu erreichen: -
Ausgerechnet 1944 als Italiener nach
Berlin zu gehen? Unmöglich. Aber
Fraccari richtete ein Büro für die
Kriegsgefallenen ein, kümmerte sich
um die internierten Landsleute und
wurde Rechte Hand des päpstlichen
Nuntius Orsenigo. - 1953 verstreut
begrabene Kriegsgefallene,
verstorbene Internierte und von den
Nazis ermordete Zwangsarbeiter auf
einen italienischen Ehrenfriedhof
umbetten? Unmöglich. Aber Fraccari
sorgte dafür, dass heute der
Cimitero Militare Italiano auf dem
Zehlendorfer Waldfriedhof an der
Potsdamer Chaussee auf 18.000
Quadratmetern für 1177 Kriegstote
die letzte Ruhestätte ist. - 1948
ein Haus für bedürftige italienische
Waisenkinder, für Alte und
Alleinstehende gründen? Unmöglich.
Aber Fraccari wandte sich an Pius
XII. und erhielt in einer
Privataudienz das finanzielle
Startkapital für sein Vorhaben. Noch
heute erinnert die "Stiftung Haus
Pius XII" in der Zehlendorfer
Sophie-Charlotte‑Straße als
Einrichtung der Jugendhilfe an
Gründer und Wohltäter. - 1950
italienische Ordensschwestern zur
Betreuung der Bewohner von Haus Pius
XII. nach Berlin holen? Unmöglich.
Aber Don Luigi schaffte auch dies
und noch heute wirken die „Sorelle
della Misericordia”, die Schwestern
der Barmherzigkeit aus Verona, im
übrigens auch von Don Luigi
erworbenen Karl-Steeb-Heim in der
Hagenstraße in Grunewald.
Don Luigi ist tot. Sein priesterlicher Dienst aber bleibt nicht nur in Berlin unvergessen.
Nachruf aus: Katholische
Kirchenzeitung / Erzbistum Berlin –
Nr. 6 – 06. Februar 2000
Verfasser: Werner Kerkloh
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