Berlin, 22.12.2002
Heiligabend ist wohl jeder gern zu Hause.
Auch der 13-jährige Klaus (Name geändert).
In diesem Jahr geht es aber wegen der
schwierigen familiären Verhältnisse und des
tragischen Tods seines Vaters nicht. Aber
Klaus hat Glück, er muss nicht allein
bleiben. Er verbringt Weihnachten bei
Familie Schmelzer im Haus Pius XII. in
Berlin-Zehlendorf, einer Stiftung der
Kinder- und Jugendhilfe.
Außer den eigenen beiden Kindern noch ein
drittes
„Da
haben wir neben unseren eigenen Kindern,
Dania und Tobias, eben noch ein drittes”
sagt Waltraud Schmelzer (43). Die
ausgebildete Erzieherin leitet die
gemeinnützige Einrichtung und ist gemeinsam
mit ihrem Mann Helmut (45), der als
langjähriger Jugend- und Heimerzieher im
Don-Bosco-Heim der Salesianer ebenfalls über
viel pädagogische Erfahrung verfügt, über
die Festtage für Kinder da, die nicht nach
Hause können. „Wir haben auch schon erlebt”
erinnert sich Helmut Schmelzer, „dass ein
Kind bereits Heiligabend wieder bei uns
abgegeben wurde, weil es in einer Familie
Streit gegeben hatte den die Polizei
schlichten musste.” Klaus wird ein
harmonisches Weihnachtsfest erleben. Nach
der Krippenandacht in der Herz-Jesu-Kirche
wird gemeinsam gekocht, dann ist Bescherung
und es wird gespielt.
Gesegnete Mahlzeit:
Kinder und Jugendliche der Stiftung Haus
Pius XII im Gespräch.
Gut,
dass es die Stiftung gibt. Sie wurde 1949
gegründet und bereits vom damaligen Berliner
Senat als „mildtätiges Werk” anerkannt.
Initiator und Gründer war der legendäre
Italienerseelsorger Don Luigi Fraccari (1909
- 2000), der 35 Jahre lang in Berlin wirkte.
Er reiste nach Rom und trug sein Anliegen,
in der kriegszerstörten Stadt ein
Zufluchts-Haus für italienische Waisenkinder
und diejenigen Landsleute zu gründen, die
nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten,
in einer Privat-Audienz dem damaligen Papst
Pius XII. persönlich vor. Er überzeugte den
Heiligen Vater, der als Nuntius selbst lange
in Berlin tätig gewesen war, von der Idee
und dieser sprach die entscheidenden Worte:
„approvo, benedico e finanzio” (Ich sage zu,
segne es und werde es finanzieren). Zur
Erinnerung an den Wohltäter trägt die
Stiftung den päpstlichen Namen, und vor dem
Haus hält eine Marmorbüste sein Gedenken
lebendig.
Dank an den Gönner:
Eine Büste erinnert an Pius XII.
Derzeit leben in dem 1910 als „Jagdhaus im
Grunewald” erbauten Haus sechs Kinder im
Alter zwischen sieben und 14 Jahren, dazu
kommen fünf Jugendliche von 16 bis 19
Jahren. Vor drei Jahren wurde eine neue
pädagogische Konzeption für die Stiftung
entwickelt. Die Jüngeren leben in einer
Familienwohngruppe mit „innewohnender
Erzieherfamilie”, wie das eingangs
geschilderte Szenario in der Fachsprache
heißt. Das wesentliche Merkmal ist also die
Konstanz der Beziehungspersonen. Besonderes
Augenmerk wird auf die Integration von
behinderten und nichtbehinderten Kindern
gelegt. In die Stiftung Haus Pius XII
aufgenommen werden können Jugendliche und
Kinder ab vier Jahren, die durch eine Lern-
und leicht bis mittelgradige geistige
Behinderung, Verhaltensauffälligkeiten,
Entwicklungsverzögerungen oder soziale und
emotionale Störungen beeinträchtigt sind.
Die Ziele orientieren sich am
Entwicklungsstand der Kinder und werden
gemeinsam mit den Eltern und Jugendämtern in
einem Hilfeplan festgelegt.
Die Älteren werden in einer sogenannten
Wohngemeinschaft betreut. Mit dem wachsenden
Anspruch auf Eigenständigkeit der
Heranwachsenden wird hier der Wechsel in
eine geeignete Form der Betreuung
unterstützt und begleitet. Aufnahme finden
können hier Mädchen und Jungen ab 16 Jahren,
die altersmäßig aus der Integrationsgruppe
herausgewachsen sind oder auch durch direkte
Aufnahme der Jugendämter. Außerdem gibt es
noch das Angebot des betreuten
Einzelwohnens, das sich an Jugendliche und
junge Erwachsene richtet.
Neben der Familie Schmelzer arbeiten fünf
weitere Mitarbeiter, darunter zwei
pädagogische Fachkräfte, eine
Berufspraktikantin im Anerkennungsjahr sowie
eine eigene Hauswirtschafterin für die
Stiftung und versuchen, den Kindern ein
Zuhause zu geben.
„Wir legen verstärkt Wert auf die fachliche
Qualifikation und das besondere Engagement
unserer Mitarbeiter. Dienst nach Vorschrift
können wir uns nicht leisten. Schließlich
geht es um die Entwicklung junger Menschen",
sagt Hubert Wittl. Der 57-jährige kommt aus
der Caritas-Arbeit im Erzbistum Berlin und
ist seit 1981 Geschäftsführer der Stiftung
Haus Pius XII. Seine Aufgabe ist es, das
Schiff der Stiftung auch in den jetzigen
unruhigen Zeiten durch die rauhe See der
knappen Kassen zu steuern und auch beim
Gegenwind der finanziellen Engpässe einen
wirtschaftlich vertretbaren Kurs zu halten.
Keine leichte Aufgabe, ist doch neben der
verstärkten Konkurrenzsituation auf dem
Heimsektor auch eine deutliche Zurückhaltung
der bezirklichen Jugendämter bei der
Belegung festzustellen. Und von den
festgesetzten Pflegesätzen, die durch die
Ämter gezahlt werden, muss die Stiftung
leben. Da sie gemeinnützig ist, darf sie
keinen Gewinn machen, aber sie muss
natürlich auch kostendeckend arbeiten. Der
von einem Betriebsprüfer erstellte
Jahresabschluss wird regelmäßig durch den
Justizsenator überprüft. „Trotz der immer
schwieriger werdenden finanziellen Situation
und der allgemeinen Haushaltslage des Landes
Berlin”, so Hubert Wittl, „ist es uns bis
jetzt immer noch gelungen, eine 'Handbreit
Wasser unter dem Kiel' zu haben”. Durch
sparsame Verwendung der zur Verfügung
stehenden Mittel konnte in diesem Jahr im
angrenzenden, auch zur Stiftung gehörenden
Haus Giovanni sogar ein großer Therapieraum
eingerichtet werden. Neben Erziehern und
Geschäftsführer kümmert sich ein
Stiftungsrat um die Geschicke und Belange
der Stiftung. Er besteht aus fünf Personen,
darunter Caritaspfarrer Dr. Stefan
Dybowski und der ehemalige Erziehungsleiter
von Don Bosco-Berlin, Hubert Gillner.
Vorsitzender dieses ehrenamtlich arbeitenden
Gremiums ist Klaus Eberhardt, vom
Caritasverband für Berlin.
Heimerziehung ist teuer, aber letztlich
preiswert
„Wenn
man es rein vom Finanziellen betrachtet”, so
Helmut Schmelzer, „ist Heimerziehung
allerdings eine teuere Variante
pädagogischer Arbeit.” Aber der Jugend- und
Heimerzieher weiß aus eigener Erfahrung,
dass dieses Geld sinnvoll investiert und
letztlich seinen Preis wert ist. Kinder und
Jugendliche, die in ihren Familien nicht die
notwendige Hilfe und Unterstützung finden,
die sie für ihre Entwicklung brauchen,
können in einem guten Heim gefördert werden
und ihre Anlagen entfalten. Schmelzer
bedauert, dass in unserer Erfahrungswelt das
Wort Heim immer noch negativ besetzt ist:
„Ins Heim, so heißt es oft, kommen
Schwererziehbare oder arme Waisenkinder.”
Die Mitarbeiter der Stiftung Haus Pius XII
versuchen mit ihrer engagierten Arbeit
dieses Vorurteil abzubauen. „Unsere Stiftung
ist zwar einerseits ein Heim, aber wir
bezeichnen sie als Einrichtung der Kinder-
und Jugendhilfe und betonen den deutlich
spürbaren Familiencharakter“, sagt Waltraud
Schmelzer, die als Mutter sehr genau um die
Bedeutung einer funktionierenden Familie für
die Entwicklung der Kinder weiß.
Und der Einsatz zahlt sich aus. Fast jedes
Kind in der Stiftung bekommt therapeutische
Hilfen: Ergotherapie, Logopädie,
Psychotherapie, Musik- oder
Bewegungstherapie. Familie Schmelzer
arbeitet darüber hinaus in Zehlendorf eng
mit dem St. aus Vöcklabruck, sowie mit der
katholischen Schule St. Ursula zusammen.
Hier wie dort ist man über die Fortschritte
der kleinen Zöglinge sehr erfreut.
Tradition:
Jedes Jahr besucht der Nikolaus
die Kinder der Stiftung.
Viele der notwendigen Sonderausgaben werden
von den Ämtern nicht mehr problemlos wie
früher bewilligt. Daher ist man bei der
Stiftung froh über jede Unterstützung. So
hilft etwa die Bauersche Stiftung der
Pfarrgemeinde mit Zuwendungen für spezielle
Diabetikernahrung und bei schulischer
Nachhilfe. Auch zweckgebundene Spenden
helfen der Stiftung, besondere Angebote für
die Kinder wie etwa zusätzliche
Urlaubsfahrten zu ermöglichen.
Die Kinder danken für alles auf ihre Weise,
mit Vertrauen und Respekt. Sie freuen sich,
dass sie im Haus Pius XII. eine Heimat
gefunden haben.
Verfasser:
Werner Kerkloh
Kontakt: Stiftung Haus Pius XII
Sophie-Charlotte Str. 31
14169 Berlin
Artikel aus: Katholische Kirchenzeitung vom
22.12.2002
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